Es gibt eine Anekdote über den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten und der Probleme, die sie dadurch hatten.
Wie alle wissen haben sich die Nationalsozialisten an dem sprachlichen Fundus des Populismus‘, Rassenwahns und Menschenverachtung bedient, um ihre Ziele zu erreichen. Da sie aber auch gut verstanden haben, wie Menschen funktionieren, haben sie sich eines psychologischen Tricks bedient. Bei nahezu allen Reden, öffentlichen Auftritten und geschriebenen Worten wurden die Argumente durch die Nutzung von Superlativen mit einem hohen Level der Erregtheit versehen. Die Gefahr war nicht einfach groß, sie war gigantisch, total oder verheerend. Jede Schlacht war epochal und heroisch. Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten gab es einfach kein Platz für eine Unterhaltung in Zimmerlautstärke. Damit konnten die Führungsriege die Menschen in die gewollte Alarmbereitschaft und Besorgnis bringen, um die Massen dann wie ein Puppenspieler zu führen. So weit, so bekannt.
Oftmals ist man sich des logischen Schluss‘ jedoch nicht bewusst, der daraus folgt. Es ist nun einmal so, dass Menschen sich auch an das Erregungslevel eines Superlativs gewöhnen und es nach einer Weile als normal empfinden. Das führte dazu, dass dem Propagandaapparat die Superlative ausgingen. Sie versuchten das Niveau der Erregtheit mit Konstruktion wie
„Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn wenn nötig totaler und radikaler[…]„? (J. Goebbels, Sportpalastrede 1943)
aufrecht zu erhalten. Wo dieser Irrweg hingeführt hat, können wir in Geschichtsbüchern nachlesen.
Man kann aus dieser Anekdote wichtige Erkenntnisse ziehen. Zum einen hast du mehr Erfolg, wenn du laut schreist und zum anderen, wenn du dich mit deinen Argumenten über andere stellst.
Diese Erkenntnis führt uns direkt ins Internetzeitalter. Denn ich glaube, dass uns das Internet zu einer Rant Society formt.
Viele Menschen nutzen die Angebot des Internets friedlich und entspannt und möchten anderen Menschen nichts Böses. Nur ist es so, dass man von diesen Menschen nichts hört, da sie nicht polarisieren. Erfolg hast du im Internet (oftmals), wenn du laut und gemein bist. Anders ist es nicht zu erklären, wie Woche um Woche neue Shitstorm und Hatewaves das Internet wie Orkane und Taifuns heimsuchen und damit das Leben vieler Menschen nachhaltig zerstören (Auch wenn der Tweet leider ein schlecht kommunizierter Witz war). Klar, Lynchjustiz fühlt sich gut an, da man selber zum rechtschaffenen Menschen wird und die Unterminierung der Moral abwendet. Man handelt nach dem moralischen Gesetz der Masse und kann sich so einer Gruppe angehörig fühlen. Das Verhalten wird gerne mit einer kleinen Formel wiedergegeben, die ich bei Penny Arcade gefunden habe.
Normal Person + Anonymity + Audience = Total Fuckwad
Dies stimmt sicherlich für viele Menschen, ist aber wahrscheinlich etwas zu kurz gegriffen. Denn man sollte nicht Angst haben vor den Menschen, die in Anonymität ihren Gefühlen freien Lauf lassen, sondern bei denen, die es mit Klarnamen machen (frei nach Frank Schirrmacher). Egal ob Klarname oder Pseudonym: Man muss sich stets aufregen, um jemanden noch hinter dem Ofen hervorzulocken.
Dies führt uns zu einem weiteren Charakteristtikum der Rant Society. Du kannst nicht nur populär werden, wenn du laut und gemein bist, du kannst auch Geld damit machen und das leider quer durch das politische Spektrum. Es ist völlig egal, ob man sich als AFD-Sympathisant oder Compact-Leser darüber aufregt, dass gerade wieder Flüchtlinge kommen oder sich bei Böhmermann seines „moral high ground“ bestätigt, wenn man sich über diese Menschen lustig macht. Auf YouTube gibt es unzählige Kanäle, die ihren Erfolg durch lautes Brüllen und Aufregung bekommen, wie z.B. Nostalgia Critic, Angry Video Game Nerd oder Francis Rage. Wobei der fairnesshalber gesagt werden muss, dass die YouTube und Böhmermann eine Rolle spielen.
Anscheinend benötigen wir mittlerweile einfach dieses Level der Erregtheit, um noch unterhalten zu werden. Es reicht nicht mehr, wenn jemand einen guten Witz macht. Er muss mindestens gebrüllt sein und uns das Gefühl geben, besser als andere zu sein. Die Rant Society fühlt sich ein bisschen so an, als würde jeder mit einem Megaphone herumlaufen, um den anderen zu übertönen und herunterzuspielen und wenn das nicht mehr reicht, dann kauft man sich einen Wagen mit einer Lautsprecheranlage, von dem aus man die Nachbarschaft beschallt.
Diese Sichtweise kann ich nachvollziehen. Im Gespräch ist der einzelne „Rant“-Mensch durchaus zu „knacken“. Eine Verallgemeinerung ist ohnehin der falsche Weg. Berührungs- oder Begegnungsängsten kann eben nur dieselben begegnen. Demokratie lebt nicht von Ausgrenzung jeglicher Art, sondern von der Abwägung aller Argumente bei der Entscheidungsfindung.
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